Viele Frauen erleben nach der Geburt ihres Kindes Veränderungen im Körper, die oft überraschend und unangenehm sind. Eine der häufigsten Beschwerden ist Harninkontinenz nach der Geburt – der unkontrollierte Verlust von Urin beim Husten, Lachen oder körperlicher Aktivität. Obwohl dieses Thema häufig tabuisiert wird, ist es weit verbreitet und behandelbar. In diesem Artikel wird umfassend erklärt, warum Harninkontinenz nach der Geburt auftritt, welche Arten es gibt, welche Behandlungsmöglichkeiten existieren und wie gezielte Therapien langfristig helfen können, die Kontrolle über die Blase wiederzuerlangen.
Was ist Harninkontinenz nach der Geburt?
Harninkontinenz bezeichnet den unkontrollierten Verlust von Urin, der in verschiedenen Situationen auftreten kann. Nach einer Geburt betrifft dieses Problem viele Frauen, insbesondere in den ersten Wochen und Monaten. Der Grund liegt in der starken Belastung, die Schwangerschaft und Geburt auf den Beckenboden und die Blasenmuskulatur ausüben. Bei manchen Frauen normalisiert sich die Blasenfunktion nach einiger Zeit wieder, während andere längerfristig Beschwerden entwickeln.
Arten der Harninkontinenz
Es gibt verschiedene Formen von Inkontinenz, die nach einer Geburt auftreten können:
- Stressinkontinenz (Belastungsinkontinenz): Hier tritt Urinverlust bei körperlicher Anstrengung, Husten oder Lachen auf. Sie ist die häufigste Form nach der Entbindung.
- Dranginkontinenz: Betroffene verspüren einen plötzlichen, starken Harndrang, der kaum zu kontrollieren ist.
- Mischinkontinenz: Eine Kombination aus Stress- und Dranginkontinenz.
Die genaue Diagnose ist entscheidend, um die passende Therapieform zu wählen. Weitere Informationen finden Sie hier: pelvi-care.de
Ursachen für Harninkontinenz nach der Geburt
Während der Schwangerschaft und Geburt wird der weibliche Körper erheblich beansprucht. Mehrere Faktoren tragen zur Entwicklung einer Harninkontinenz bei:
1. Schwächung der Beckenbodenmuskulatur
Der Beckenboden trägt während der Schwangerschaft das wachsende Gewicht des Babys. Durch diese Belastung werden die Muskeln überdehnt und verlieren an Spannung. Während der vaginalen Geburt wird der Beckenboden zusätzlich beansprucht, was zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Schwächung führen kann.
2. Hormonelle Veränderungen
Während der Schwangerschaft und Stillzeit sinkt der Östrogenspiegel, was die Elastizität und Festigkeit des Bindegewebes reduziert. Diese hormonellen Schwankungen beeinflussen die Funktion von Blase und Harnröhre.
3. Geburtsverletzungen
Ein Dammschnitt, Risse oder Nervenschäden im Beckenbereich können die Nervenbahnen beeinträchtigen, die für die Blasenkontrolle verantwortlich sind. Besonders bei längeren Geburten oder bei der Verwendung von Saugglocke und Zange kann es zu Verletzungen kommen.

4. Überdehnung der Blase
Manchmal wird die Blase während der Geburt überdehnt, was vorübergehend ihre Kontraktionsfähigkeit einschränkt. In solchen Fällen ist der Urinverlust meist temporär.
5. Mehrlingsschwangerschaften und Übergewicht
Frauen, die Zwillinge oder Mehrlinge austragen oder während der Schwangerschaft stark zunehmen, setzen ihren Beckenboden einer höheren Belastung aus und haben ein erhöhtes Risiko für Inkontinenz.
Diagnose und medizinische Untersuchung
Um die richtige Therapie zu wählen, ist eine ärztliche Untersuchung wichtig. Der Arzt oder die Ärztin wird eine Anamnese erheben, um Art und Häufigkeit des Urinverlustes zu bestimmen. Anschließend folgen Untersuchungen wie:
- Urinanalyse zur Erkennung von Infektionen
- Blasentagebuch, um Häufigkeit und Auslöser zu dokumentieren
- Beckenbodenuntersuchung, um Muskelstärke und Funktionsfähigkeit zu prüfen
- Urodynamische Tests, um Blasendruck und Füllkapazität zu messen
Diese Diagnoseschritte helfen, zwischen verschiedenen Inkontinenztypen zu unterscheiden und eine gezielte Behandlung zu ermöglichen.
Behandlung und effektive Therapien
Die gute Nachricht: In den meisten Fällen lässt sich Harninkontinenz nach der Geburt erfolgreich behandeln. Entscheidend ist, frühzeitig aktiv zu werden und die Beckenbodenmuskulatur zu stärken.
1. Beckenbodentraining
Das Beckenbodentraining ist die wichtigste und wirksamste Maßnahme. Durch gezielte Übungen – auch bekannt als Kegel-Übungen – können die Muskeln, die Blase und Harnröhre stützen, wieder gestärkt werden. Regelmäßiges Training verbessert nicht nur die Kontinenz, sondern auch die Körperhaltung und das Wohlbefinden.
Beispielübungen:
- Spannung aufbauen, als wolle man den Urinfluss stoppen, 5 Sekunden halten, dann lösen.
- Diese Übung 10–15 Mal täglich wiederholen.
- Integration in Alltagssituationen wie Sitzen, Stehen oder Autofahren.
Auch Rückbildungsgymnastik unter Anleitung einer Hebamme ist hilfreich, um den Beckenboden schrittweise zu kräftigen.
2. Physiotherapie
Bei schwereren Fällen kann eine Physiotherapeutin für Beckenbodentraining individuelle Übungsprogramme erstellen. Moderne Therapieformen nutzen Biofeedback oder Elektrostimulation, um die Muskeln gezielt zu aktivieren.
3. Verhaltenstherapie und Blasentraining
Blasentraining hilft, das Wasserlassen wieder zu regulieren. Ziel ist es, den Harndrang zu kontrollieren und die Intervalle zwischen Toilettengängen zu verlängern. Gleichzeitig werden falsche Gewohnheiten, wie das „vorsorgliche Wasserlassen“, vermieden.
4. Medikamentöse Behandlung
Wenn hormonelle Veränderungen eine Rolle spielen, können örtliche Östrogenpräparate helfen, die Schleimhaut der Harnröhre zu stärken. Diese Therapieform wird häufig in der Stillzeit oder in Kombination mit Beckenbodentraining eingesetzt.
5. Chirurgische Eingriffe
In seltenen Fällen, wenn konservative Therapien nicht ausreichen, kann ein kleiner operativer Eingriff erforderlich sein. Hierbei werden beispielsweise Bändchen (TVT oder TOT) unter die Harnröhre gelegt, um zusätzlichen Halt zu geben.
Prävention – Wie sich Harninkontinenz vermeiden lässt
Prävention beginnt bereits während der Schwangerschaft. Regelmäßiges Beckenbodentraining, eine gesunde Gewichtskontrolle und die Vermeidung schwerer Belastungen können helfen, das Risiko deutlich zu senken.
Tipps zur Vorbeugung:
- Beckenbodentraining ab dem zweiten Trimester beginnen
- Aufrechte Haltung und korrekte Atemtechnik üben
- Starkes Pressen beim Stuhlgang vermeiden
- Ausreichend Flüssigkeit trinken, aber Koffein und Alkohol reduzieren
Fazit: Kontrolle und Lebensqualität zurückgewinnen
Harninkontinenz nach der Geburt ist ein häufiges, aber behandelbares Problem. Durch Aufklärung, gezieltes Beckenbodentraining und moderne Therapieformen können die meisten Frauen ihre Blasenkontrolle vollständig wiedererlangen. Wichtig ist, das Thema offen anzusprechen und frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein starker Beckenboden bedeutet nicht nur körperliche Stabilität, sondern auch ein Stück Lebensqualität, Selbstvertrauen und Wohlbefinden im Alltag.
+ There are no comments
Add yours